Die Kultur von Walen sollte bei ihrem Schutz eine Rolle spielen

Ein internationales Forschungsteam hat eine Studie über die Rolle von tierischer Kultur beim Artenschutz verfasst. Der im renommierten Fachjournal „Science“ erschienene Artikel enthält die Forderung, dass bei Schutzbemühungen und Gesetzesentwürfen zukünftig die Kultur von Tieren einbezogen werden sollte. Die WDC-Biologin Philippa Brakes ist die Erst- Autorin der Studie und setzt sich seit Jahren dafür ein, dass Kultur bei Walen und Delfinen international Beachtung findet.
Immer häufiger werden wissenschaftliche Beweise für soziales Lernen bei Tieren gesammelt, z.B. bei Schimpansen und anderen Menschenaffen, Elefanten, Pottwalen, Orcas, und Tümmlern. Diese wichtigen Informationen über den Stellenwert von Kultur können zukünftig bei der Entscheidung helfen, welche Gruppen besonders schutzbedürftig sind und wie Schutzbemühungen effizient gestaltet werden sollten.
Ein Beispiel für eine generationenübergreifende Kultur bei Walen sind die weiblichen Anführerinnen der Orcas. Diese sind die wichtigsten Erfahrungsträger innerhalb der Familiengruppen und geben ihr Wissen an ihre Nachkommen weiter. Stirbt eine Matriarchin, kann das für die gesamte Population weitreichende Folgen haben: Wissen, das zu diesem Zeitpunkt noch nicht weitergegeben wurde, geht der gesamten Gruppe verloren.
Bei vielen Arten ist es üblich, dass Jungtiere wichtige Fähigkeiten lernen, indem sie ältere Mitglieder ihrer sozialen Gruppe beobachten. Dazu gehören beispielsweise die Kommunikation oder spezielle Migrationsrouten, aber z.B. auch der Ernährungsgewohnheiten, Jagdstrategien oder der Gebrauch von Werkzeugen. Soziales Wissen wird von Generation zu Generation weitergegeben und entscheidet im Zweifelsfall über das Fortbestehen einer Population.
Soziale Lernprozesse können auch zur Bildung von Untergruppen führen, so die Autor*innen der Studie. Diese Gruppen haben spezielle Verhaltensprofile, die auch zu sozialer Abgrenzung von anderen Gruppen führen können. Ein Beispiel dafür sind die Pottwale im östlichen tropischen Pazifik, die sich untereinander mit jeweils eigenen Dialekten verständigen. Diese Besonderheiten spielen eine Rolle, wenn es beispielsweise um die Anpassung an Veränderungen in ihrem Lebensraum geht, aber auch für spezielle maßgeschneiderte Schutzmaßnahmen spielen sie eine große Rolle. Für manche Arten ist der Schutz einzelner Individuen ebenso wichtig wie der ihres Lebensraums.
„Die Zeit ist gekommen, einen Paradigmenwechsel im Artenschutz einzuläuten. Diese Studie untermauert das auf eindrucksvolle Weise“, so Fabian Ritter, Meeresschutzexperte bei WDC. „Bisher geht es beim Erhalt von Arten ausschließlich um Populationsgrößen und genetische Vielfalt. Wenn Tiere jedoch als Persönlichkeiten mit individuellem Wissensschatz erkannt werden und soziale Gruppen sich über ihr kulturelles Verhalten definieren lassen, dann müssen genau diese Eigenheiten beim Schutz der Tiere genauso eine Rolle spielen“.
Die Konvention zum Schutz wandernder Arten (Bonner Konvention / CMS) bezieht wissenschaftliche Forschungsergebnisse bereits vorbildlich beim Planen von Schutzmaßnahmen ein. WDC wird sich auch weiterhin dafür einsetzen, dass zukünftig auch bei anderen Schutzprojekten die Rolle der Kultur und des sozialen Lernens beachtet wird.
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