Zerteilter Pottwal vor den Kanaren: Opfer einer Kollision mit einer Schnellfähre?
Walbeobachter*innen haben vor der Kanareninsel den Kadaver eines Pottwals entdeckt. Der Wal wurde in der Mitte zerteilt vorgefunden, der vordere und hintere Teil seines Körpers trieben getrennt voneinander an der Meeresoberfläche. Der Verdacht liegt nahe, dass der junge Wal von einer der vielen zwischen den Kanaren verkehrenden Hochgeschwindigkeitsfähren erfasst und getötet wurde.
Bei einer Walbeobachtungstour vor La Gomera (Kanarische Inseln) gab es eine unerwartete Sichtung: Tourguides und Tourist*innen sichteten einen Pottwal, der reglos an der Oberfläche trieb. Schnell war klar, dass der Meeressäuger nicht mehr lebte. Die Überraschung war komplett, als sie erkannten, dass der Pottwal in zwei Hälften zerteilt dahintrieb.
Sowohl die Küstenwache, als auch Meeresbiolog*innen der vor Ort tätigen Organisationen M.E.E.R. und Ventana al Mar wurden informiert. Ein Expert*innen-Team begab sich unmittelbar zum ca. zwei Seemeilen vor der Küste entfernten Fundort. Dort fotografierten die Biolog*innen den toten Wal über und unter Wasser und entnahmen Fett- und Hautproben für weitere Untersuchungen.
"Der Verdacht liegt nahe, dass dieser Pottwal ein weiteres Opfer der vielen Hochgeschwindigkeitsfähren ist, welche die Kanarischen Inseln miteinander verbinden", sagt Fabian Ritter, Meeresschutzexperte bei WDC und wissenschaftlicher Leiter des Berliner Vereins M.E.E.R. . "Es gibt keine andere Erklärung für einen zweigeteilten Wal, als dass er von den scharfen Rümpfen der Fähren erfasst wurde."
Probennahme und Walkadaver (C) Fabian Ritter, M.E.E.R. / Volker Böhlke, Ventana al Mar
Die Kanaren sind eines der wichtigsten Touristenziele in Europa. Die Pandemie hat den Inseln stark zugesetzt, da der Besucher*innenstrom durch COVID19 im letzten Jahr praktisch zum Erliegen kam. Seit einiger Zeit erholt sich die Lage wieder – und folglich fahren auch wieder mehr Fähren zwischen den Inseln. Gleichzeitig stellt der Inselarchipel einen der wichtigsten und artenreichsten Lebensräume für Delfine und Wale im Nordatlantik dar. Insgesamt 30 Arten wurden hier schon dokumentiert, 24 davon vor La Gomera – das ist Europarekord.
"Grindwale, Große Tümmler und eben auch Pottwale sind um die Inseln fest ansässig", sagt Meeresbiologe Volker Boehlke vom Verein Ventana al Mar auf La Gomera. "Sie sind für uns ein wichtiger Bestandteil all der Indizien, die den Zustand des Meeres beschreiben. Der Konflikt mit dem zunehmenden Verkehr zwischen den Inseln ist in den letzten 20 Jahren stetig größer geworden. Dabei spielen die immer schnelleren und größeren Schiffe leider eine wichtige Rolle".
Es kommt regelmäßig vor, dass Wale von den schnellen Schiffen überfahren werden. Die globale Datenbank zur Erfassung von Kollisionen zwischen Schiffen und Walen kennt inzwischen fast 100 Fälle allein für die Kanaren, wobei die Dunkelziffer vermutlich sehr hoch ist. Der Archipel gilt international inzwischen als "Hot Spot" für Kollisionen zwischen Schiffen und Walen. Pottwale, insbesondere deren unerfahrenen Jungtiere, sind dabei besonders anfällig. Studien haben gezeigt, dass die Pottwal-Population auf den Kanaren vom Aussterben bedroht ist, wenn diese Gefahr nicht gemindert wird.
"Die entscheidende Frage ist, ob der Wal bereits tot war, als er überfahren wurde oder ob die Kollision mit einem Schiffsrumpf zum Tod geführt hat", so Fabian Ritter weiter. "Diese Verantwortlichkeit muss dringend geklärt werden. Die Statistik sagt uns, dass es wahrscheinlicher ist, dass der Wal durch eine Schiffskollision ums Leben kam. Wir stellen die Fotos und Proben unseren Kollegen von der Universität Las Palmas auf Gran Canaria zur Verfügung, die Spezialisten darin sind, die Todesursache zu ermitteln. Dies wird aber noch eine ganze Weile dauern."
Einstweilen empfehlen internationale Expert*innen, die Geschwindigkeit der Fähren zu reduzieren und Meeresschutzgebiete zu meiden, von denen es rund um die Kanaren einige gibt, die von Schiffen und Booten jedoch stark frequentiert werden. Mit Geschwindigkeitsbegrenzungen und Sperrzonen kann die Gefahr von Kollisionen für die Meeressäuger erheblich verringert werden. Organisationen wie WDC und M.E.E.R. setzen sich seit langem für solche Maßnahmen ein.
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