Ein „Leben“ in Gefangenschaft? Warum wir Delfinarien schließen müssen

Vor über 30 Jahren besuchte ich das OrcaLab in British Columbia zum ersten Mal. Ich erinnere mich noch sehr gut an meine erste Orca-Begegnung, an einem dieser atemberaubend schönen Sommertage mit klaren Gewässern in der Johnstone Strait.
In meiner Zeit beim OrcaLab half ich beim Identifizieren von einzelnen Orcas (durch Photo-ID) und lauschte den Rufen der verschiedenen Gruppen. Dadurch konnten wir herausfinden, wer die einzelnen Tiere sind und wie sie miteinander verwandt sind. So lernte ich, wie sozial komplex Orcas sind und was für ein friedliches Leben sie in ihren eng verbundenen Familiengruppen führen – Orcas gehen sogar engere und dauerhaftere Bindungen ein, als wir Menschen.
Ich erfuhr, dass sie jeden Sommer in dasselbe Gebiet zurückkehrten, um die nahrhaften Königslachse zu jagen. Sie nutzten diese Zeit aber auch, um sich auszuruhen, zu spielen und die sozialen Beziehungen zu anderen Orca-Familien, die in das Gebiet gekommen waren, zu pflegen.
Ich sah mir die Bilder im Photo-ID-Katalog an und erkannte schnell die charakteristischen Eigenschaften der einzelnen Orcas, wie Okisollo, Ripple, Top Notch und die Matriarchen Eve und Stripe. Als ich den Stammbaum genauer betrachtete, las ich den Namen eines Orcas, von dem ich wusste, dass ich sie nie auf der Jagd nach einem frischen, saftigen Lachs in der Meeresenge sehen würde. Ihr Name ist Corky und ihre Geschichte bricht einem das Herz. Sie wurde am 11. Dezember 1969 zusammen mit dem Rest der so genannten A5-Gruppe gefangen genommen – und von diesem Tag an sollte ihr Leben ganz anderes verlaufen. Während einige Orcas freigelassen wurden, darunter ihre Mutter Stripe und ihre Geschwister, war Corky mit gerade einmal vier Jahren im "perfekten" Alter, um an die Delfinarien-Industrie verkauft zu werden. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Unterhaltungsbranche ein unstillbares Verlangen bei zahlenden Zuschauer*innen hervorgebracht, wilde Wale und Delfine in Shows zu beobachten.
Die einsame Stimme in einem Betonbecken
Erst Jahre später, im Jahr 2005, lernte ich im Rahmen eines Undercover-Einsatzes die arme Corky in SeaWorld San Diego kennen. Zu diesem Zeitpunkt befand sie sich bereits seit 36 Jahren in Gefangenschaft. Sie wurde im Rahmen des Zuchtprogramms insgesamt sieben Mal schwanger – ihr ältestes Baby überlebte aber gerade einmal 47 Tage.
Als ich sie an diesem Tag bei SeaWorld immer wieder kopfüber durch das Becken schwimmen sah und sie immer nach sieben Runden an genau derselben Ecke auftauchte, um zu atmen, fragte ich mich, welche Erinnerung sie an ihr kurzes Leben in Freiheit hatte. Wir wissen, dass ihre Rufe auch nach all den Jahren immer noch die ihrer Familiengruppe sind. Jedoch gibt sie diese heutzutage nur selten von sich, da ihre einsame Stimme nur in ihrem Betonbecken widerhallt. Wenn sie nicht gerade in Shows auftrat, musste Corky an dem Show-Programm "Essen mit Shamu" teilnehmen. Die Parkbesucher*innen aßen ihre Burger und Nachos nur wenige Zentimeter vom Becken entfernt, und in regelmäßigen Abständen erhielt Corky von ihren Trainer*innen die Anweisung zu "stranden", indem sie ihren ganzen Körper auf eine Betonplattform hob. So konnten die Gäste Fotos mit Corky machen, bevor sie wieder in ihr Becken zurückglitt.
Stunde um Stunde, Tag um Tag, Jahr um Jahr setzte Corky diese monotone, sich wiederholende Routine fort. Und ich stelle mir die Frage: Wie schafft sie das? Ihr Überlebenswille übertrifft bei weitem den der meisten anderen in Gefangenschaft lebenden Orcas, die vorzeitig sterben.
Währenddessen schwimmen Corkys Bruder Fife und seine Schwester Ripple auch heute noch wild und frei in den kühlen, smaragdgrünen Gewässern des pazifischen Nordwestens vor Kanada herum. Mit rund 55 Jahren hat Corky nun länger überlebt – ja, überlebt und nicht gelebt – als jeder andere wilde Orca, der in den 60er und 70er Jahren gefangen wurde.

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Mit Ihrer Spende können wir uns für das Ende der Gefangenhaltung von Walen und Delfinen einsetzen.
Das Überleben im kleinsten Orca-Becken der Welt
Dicht gefolgt von Corky ist eine weitere Überlebende – Lolita (auch bekannt als Tokitae), die 1970 gefangen wurde und seitdem im Miami Seaquarium, im kleinsten Orca-Becken der Welt, gefangen ist. Lolita ist eine Southern Resident Orca-Dame, die im Rahmen einer Treibjagd gefangen wurde, bei der mehrere andere Wale in den Netzen starben. Ihre Körper wurden von ihren Jäger*innen mit Steinen gefüllt, damit sie auf den Grund sanken und keine Spuren hinterließen.
Vor kurzem sah ich Lolita in ihrem Becken im Miami Seaquarium. Als ich im halbleeren Stadion saß, sah ich Lolita dabei zu, wie sie mit nur einer einzigen Bewegung ihrer kräftigen Schwanzflosse von einer Seite des Beckens auf die andere Seite gelangte. Ihr Pool misst an der längsten Stelle 24 Meter und an der tiefsten Stelle nur sechs Meter – gerade mal so tief, wie ihr Körper lang ist. Das Becken ist so klein, dass es nicht einmal den Vorgaben der US-Behörden entspricht, aber es ist seit mehr als einem halben Jahrhundert Lolitas ganze Welt. Den wenigen Platz, den Lolita hat, teilt sie sich mit zwei Weißstreifendelfinen – seit über 40 Jahren hat Lolita keinen anderen Orca mehr gesehen.
Viele von uns hatten während der weltweiten Corona-Pandemie monatelang mit der Einsamkeit zu kämpfen. Ich frage mich, wie diese hochintelligenten Orcas mit einer 40-50 Jahre andauernden Isolation zurechtkommen? Ihre Widerstandsfähigkeit ist verblüffend.

Das Licht nach dem Lockdown
Wie sieht die Zukunft von Lolita und Corky aus? Für Lolita gibt es Pläne, sie in ihre Heimatgewässer zurückzubringen und wieder mit ihrer Familie zu vereinen. Wir glauben, dass Lolitas Mutter heute noch in freier Wildbahn lebt.
Und was Corky angeht, besteht die Hoffnung, dass in einer schönen, geschützten Bucht an der Küste von Hanson Island in British Columbia, ganz in der Nähe des Ortes, an dem ihre Familie jeden Sommer häufig zu Besuch ist, ein Refugium errichtet werden kann.
Was wir aber auch brauchen, ist das Ende der grausamen Gefangenschaftshaltung. Große Reiseveranstalter wie TUI müssen unserer Kampagnen-Aufforderung nachgehen und Wal- und Delfinshows aus ihrem Angebot streichen. Einige große Reiseanbieter, darunter Virgin Holidays und British Airways, haben bereits auf uns gehört und ihre Haltung gegenüber Delfinarien geändert – dasselbe fordern wir jetzt auch von TUI.
Lassen wir Corky, Lolita und all die anderen Wale und Delfine mit ähnlichen Schicksalen, die letzte Generation sein, die im Namen der so genannten "Unterhaltung" ein Leben lang im Lockdown verbringen müssen. Wir wissen, vor welchen Herausforderungen wir stehen, um diese Ziele zu erreichen. Doch die über 3.600 Wale und Delfine, die weltweit gefangen gehalten werden, verdienen es, dass wir uns trotz allen Hürden bemühen, nicht aufgeben und mit Ihrer Unterstützung solche Kampagnen ins Leben rufen.
Was können Sie tun?
1. Teilen Sie unsere Kampagne mit dem Hashtag #LockdownNeverEnds auf Ihren Sozialen Netzwerken und/oder schreiben Sie TUI eine E-Mail.
2. Klären Sie ihren Bekanntenkreis auf, bevor der nächsten Urlaub oder Zoobesuch gebucht wird und sprechen Sie mit dem Veranstalter und Ihren Mitreisenden, wenn Ihnen im Urlaub eine Reise zu einem Delfinarium angeboten wird.
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