Verlieren wir den Schweinswal, bevor ihn jeder kennt?

Im Jahr 2020 wurde der Zustand von rund 130.000 Tier- und Pflanzenarten von der International Union for Conservation of Nature (IUCN) kategorisiert und mehr als 32.000 (rund 20 Prozent) dieser Arten als vom Aussterben bedroht eingestuft. Heute, am World Wildlife Conservation Day, möchte ich Ihnen den Schweinswal und seine Bedrohungslage etwas näher bringen.
Zweifellos ist jede einzelne Tierart, jede einzelne Pflanzenart von Bedeutung: Beim Artenschutz geht es vor allem um den Erhalt möglichst vieler verschiedener Spezies – Biodiversität ist das Schlüsselwort.
Über die letzten zwanzig Jahre ist uns bei WDC besonders das Schicksal der Schweinswale ans Herz gegangen. Der Schweinswal gehört mit einer Körperlänge bis 1,80 Metern zu den kleinsten Walen, allerdings ist er auch besonders flink und zählt damit zu den erfolgreichsten Jägern unter den Meeressäugern.
Der Gewöhnliche Schweinswal ist die einzige bei uns beheimatete Walart. Er kommt sowohl in der Nord- als auch in der Ostsee vor und lebt dort in unterschiedlich großen Populationen. Die weltweite Population der Schweinswale wird auf rund 700.000 Individuen geschätzt, doch jährlich sterben weltweit Tausende von ihnen. Die Haupttodesursache ist der Beifang (also der Tod in Fischernetzen) – aber auch die Meeresverschmutzung, Unterwasserlärm, militärische Aktivitäten unter Wasser, Überfischung, fehlende Ruhezonen sowie der Klimawandel machen den kleinen Walen stark zu schaffen. Die Population in der zentralen Ostsee ist dadurch in den letzten Jahrzehnten stark geschrumpft und wird auf nur noch rund 500 Individuen geschätzt.
Stirbt die einzige bei uns heimische Walart aus, noch bevor sie jeder kennt?
Erstaunlich ist für mich immer wieder, wie wenige Menschen den Schweinswal überhaupt kennen – geschweige denn wissen, dass man ihn in deutschen Gewässern beobachten kann und er ohne weiteres sozusagen unser "marines Wappentier" sein könnte: so, wie man Orcas mit Kanada, Narwale mit der Arktis oder Blauwale mit der Antarktis verbindet (natürlich nur symbolisch, da die meisten Walarten sich je nach Jahreszeit in unterschiedlichen Gebieten aufhalten). Wieso sind Buckelwale oder Tümmler fast jeder und jedem ein Begriff, aber Schweinswale eher unbekannt? Liegt es an seinem unauffälligen Verhalten, das sich vorwiegend unter Wasser abspielt? Schweinswale zu beobachten ist mit Glück verbunden – nur für Sekunden tauchen die Tiere zum Atmen auf und verschwinden dann wieder unter der Wasseroberfläche.
Ich muss gestehen, dass auch ich mich als "bekennender Orca-Fan" lange Zeit kaum für die Schweinswale interessiert habe. Während der Vorbereitungen unserer neuen Kampagne "Rettet die Schweinswale: Stellnetze raus aus Schutzgebieten!" bin ich jedoch immer tiefer in die Welt dieser Tiere eingetaucht und bin inzwischen völlig fasziniert von ihrem schönen Aussehen, ihren eleganten Bewegungen unter Wasser und ihrer Lebensweise.
Wussten Sie zum Beispiel, dass …
- Schweinswale vorwiegend als Mutter-Kind-Paar unterwegs sind und es deshalb besonders schlimm ist, wenn ein Jungtier seine Mutter (z.B. durch Beifang) verliert?
- Schweinswale mitunter das Meer verlassen und gelegentlich auch flussaufwärts in Weser, Elbe, Ems und Jade zu sehen sind?
- Schweinswale bis zu sechs Minuten lang unter Wasser bleiben und bis zu 200 Meter tief tauchen können, um nach Heringen, Sardinen, Makrelen, Würmern, Schnecken oder auch Tintenfischen zu suchen?
- Schweinswale bis zu 500 (!) Fische pro Stunde jagen können und damit zu den erfolgreichsten marinen Jägern gehören?
Umso trauriger und wütender macht es mich, mit anzusehen, welchen täglichen Herausforderungen und Bedrohungen die Schweinswale ausgesetzt sind. Und ganz besonders: Dass so wenig für ihren Schutz getan wird!
Im Oktober 2020 erhielt WDC erstmals Einblick in die Entwürfe der Managementpläne der deutschen Regierung für die Ostsee: rund 13 Jahre nachdem die Gebiete von der EU als Schutzgebiete anerkannt wurden. Das Ergebnis: eine Art Ideensammlung, die in keiner Weise die marine Biodiversität in der deutschen Ostsee zu erhalten oder gar wieder herzustellen vermag. Selbst die Managementpläne für die Schutzgebiete der Nordsee, die immerhin schon früher ausgearbeitet wurden, existieren nur auf dem Papier. Sie werden jedoch kaum umgesetzt, nicht kontrolliert und auch die langfristige Finanzierung ist unsicher.
Wie kann es sein, dass selbst in ausgewiesenen Schutzgebieten immer noch mit Stellnetzen gefischt werden darf – was zum qualvollen Tod Hunderter Schweinswale pro Jahr allein in Deutschland führt? Wie kann es sein, dass genau in den Gebieten, die den Walen Ruhe zur Aufzucht ihrer Jungen und Ungestörtheit zum Jagen bieten sollen, immer noch Schiffe fahren und sogar marine Sprengübungen durchgeführt werden? Weshalb stellt sich die Politik gegen jegliche Gutachten und Empfehlungen von Wissenschaftler*innen und Umweltschutzorganisationen sowie gegen Proteste der Bürger*innen und forciert z.B. den Bau der Fehmarnbeltquerung, einem Tunnelbau unter der Ostsee hindurch, der auf Jahre die größte Baustelle Europas sein wird – und zwar mitten in einem Meeresschutzgebiet? Wieso werden wirtschaftliche Interessen noch immer über den Meeresschutz (und damit den Klimaschutz) gestellt?
Wenn sich hier nicht bald etwas ändert, laufen wir Gefahr, den Schweinswal in der zentralen Ostsee für immer zu verlieren. Seit Jahren schon gilt diese Population als vom Aussterben bedroht. Ihr Verlust wäre besonders deshalb fatal, da Wale unsere Verbündeten im Kampf gegen den Klimawandel sind.

Mitte November startete WDC deshalb eine Kampagne zum Schutz der Schweinswale in deutschen Gewässern mit einem offenen Brief an Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner sowie einer daran geknüpften Petition. Unsere Forderungen:
- Stellnetze raus aus Meeresschutzgebieten! Die Bundesregierung muss die von der EU angemahnten Maßnahmen zur Verbannung von Stellnetzen aus Schutzgebieten sofort umsetzen und langfristig kontrollieren – und zwar dauerhaft für alle deutschen Meeresgewässer!
- Beifang verhindern: Außerhalb von Schutzgebieten müssen weitere Maßnahmen ergriffen werden, um den Beifang von Walen effektiv zu verhindern, etwa räumlich-zeitliche Einschränkungen der Fischerei oder auch der übergangsweise Einsatz von Pingern.
- Alternative Fischereimethoden: Bund und Länder müssen alternative Fischereimethoden massiv fördern und ein umfassendes Konzept für eine Fischerei vorlegen, die sowohl umweltfreundlich ist, als auch den Bedürfnissen der Fischer*innen gerecht wird.
Ein weiteres Ziel unserer Kampagne ist es, so vielen Menschen wie möglich die Schweinswale der Nord- und Ostsee näher zu bringen und auf ihre Bedrohungslage hinzuweisen. Deshalb haben wir ein Aktionspaket zusammengestellt, das unter anderem eine Infobroschüre über die Schweinswale beinhaltet und mit dem unsere Unterstützer*innen über ihre Sozialen Medien auf die Schweinswale aufmerksam machen können.
Gemeinsam können wir dem Schweinswal eine Stimme geben.
Unterstützen Sie unsere Arbeit!
Wir setzen uns weltweit in verschiedenen Projekten für Wale und Delfine ein.