Warum werden Orca-Weibchen nach den Wechseljahren so alt?

Orcas sind eine von nur fünf Arten, von denen bekannt ist, dass sie in die Wechseljahre kommen. Weibchen leben nach ihrem letzten Nachwuchs noch viele Jahrzehnte weiter. Die einzigen anderen Säugetiere mit dieser ungewöhnlichen Lebensstrategie sind kurzflossige Grindwale, Belugas, Narwale und Menschen. Warum die "Weibchen" dieser Spezies nicht bis zu ihrem Lebensende Nachwuchs gebären, ist ein seit langem bestehendes evolutionäres Rätsel.
In diesem Gästeblog untersucht Darren Croft, Professor für Tierverhalten an der Universität Exeter, wie und warum sich die Wechseljahre bei Orcas entwickelt haben.
Überlassen wir nun das Wort Professor Croft...
Bei unserer Zusammenarbeit mit dem Center for Whale Research im Bundesstaat Washington haben wir festgestellt, dass der Schlüssel des Geheimnisses um die Wechseljahre bei Säugetieren in der sozialen Familienstruktur liegt. Verhaltensmuster bei der Zusammenarbeit aber auch bei Konflikten in der Gruppe spielen eine Rolle.
Seit über vier Jahrzehnten sammelt das Zentrum für Walforschung jedes Jahr detaillierte demographische und soziale Daten über die Southern Resident Orcas, die im nordwestlichen Pazifik leben. Dabei wurden alle Geburten und Todesfälle der Population seit 1976 dokumentiert. Zusätzlich zu diesem wunderbaren Datensatz hatten wir das Glück, einen weiteren Datensatz zur Verfügung gestellt zu bekommen. Die Behörde Fisheries and Oceans Canada sammelte sehr ähnliche Daten über die Population der Northern Resident Orcas. Aus den Langzeitstudien ergab sich eine auffällige Beobachtung: Ähnlich wie bei Menschen, bekommen weibliche Orcas ihren letzten Nachwuchs in der Regel Ende 30 – sie werden darüber hinaus aber bis zu 80 Jahre alt oder älter.
Diese Langzeitstudien und die unglaublich wertvollen Daten boten uns die einzigartige Gelegenheit zu untersuchen, warum sich die Weibchen bereits so früh vor ihrem Lebensende nicht mehr fortpflanzen.
Eine Hypothese ist, dass die Weibchen nach ihrer Menopause eine Schlüsselrolle spielen, wenn es darum geht, ihren Verwandten beim Überleben und der Fortpflanzung zu helfen. Resident Orcas haben eine sehr ungewöhnliche soziale Familienstruktur: Weder die Söhne noch die Töchter der Matriarchin verlassen die Familiengruppe (Matriline) – alle Generationen bleiben ein Leben lang zusammen. Die Töchter pflanzen sich zwar mit Männchen aus anderen Gruppen fort, kehren aber zur eigenen Familie zurück, um zu gebären und den Nachwuchs aufzuziehen. Oder anders gesagt: Während die Nachkommen der Weibchen innerhalb der eigenen Familie großgezogen werden, bleibt der Nachwuchs der Männchen bei den jeweiligen Müttern und deren Familien.
Mathematische Modelle zeigen, dass weibliche Orcas nach den Wechseljahren deutlich mehr Zeit und Energie in die Umsorgung ihrer Söhne investieren müssten, als in die ihrer Töchter. Denn so würden sich die Söhne weniger fortpflanzen – es käme zu weniger Konkurrenz durch die Vergrößerung anderer Familiengruppen. Die früher auf sich gestellten Töchter könnten hingegen für Nachwuchs innerhalb der eigenen Familie sorgen und die Gruppe der Matriarchin stärken.
Wir haben diese Hypothese getestet und festgestellt, dass die Unterstützung weiblicher Orcas nach den Wechseljahren sowohl für Söhne als auch für Töchter signifikante Überlebensvorteile bietet. Jedoch sind die Söhne deutlich stärker auf die Unterstützung ihrer Mütter angewiesen. Stirbt die Matriarchin, ist das Risiko, dass ihr erwachsener Sohn im Jahr nach ihrem Tod stirbt, bis zu achtmal höher. Im Gegensatz dazu ist das Risiko, dass die Tochter einer Matriarchin ebenfalls zeitnah stirbt nur 2,7-fach erhöht.

Southern Resident Orca (C) Dave Ellifrit
Doch wie genau unterstützen Orca-Weibchen nach der Menopause ihre Familiengruppe?
Orca-Weibchen, die sich nicht mehr rund um die Uhr um ihr eigenes Neugeborenes kümmern müssen, können der Familie ihren großen Wissens- und Erfahrungsschatz weitergeben. Resident Orcas ernähren sich fast ausschließlich von Lachs und folgen ihm in die Küstengebiete, wohin sich die Fische jedes Jahr zum Laichen begeben. Perfektes Timing ist hier alles! Die Wale müssen ganz genau wissen, wo sich die Lachse wann aufhalten. Mit unserer Studie konnten wir herausfinden, dass die älteren Orca-Weibchen diejenigen sind, die ihre Gruppe zu den Nahrungsgebieten der Lachse führen – und dass sie das besonders in Zeiten mit niedrigem Lachsstand tun.
Diese beiden Ergebnisse zeigen deutlich, wie die Weibchen auch nach ihrer reproduktiven Lebensphase ihren Familienmitgliedern noch zugutekommen. Dieses Verhalten hat die Populationen gestärkt und konnte sich deshalb evolutionär weiterentwickeln.
Aber ein Teil des Puzzles fehlte uns bis dahin noch …
Wir wissen, dass auch reproduktive Weibchen (die noch aktiv Nachkommen hervorbringen) als Anführerinnen fungieren und ihre erwachsenen Söhne unterstützen. Warum also hören die Weibchen mit Ende 30 auf, sich fortzupflanzen?
Diese Frage konnten wir beantworten, indem wir uns die Konkurrenzmuster innerhalb der Gruppen näher angeschaut haben. Wie bereits erwähnt, bleiben Töchter ein Leben lang bei ihren Müttern. Doch würden sich beide gleichzeitig fortpflanzen, würde es innerhalb der Gruppe mehr Konkurrenz um begrenzte Ressourcen wie Nahrung geben. Beispielsweise aufgrund des erhöhten Energiebedarfs während der Schwangerschaft oder während dem Wachstum der Nachkommen. Orca-Familien jagen gemeinsam und teilen sich die Beute, wobei die Nachkommen oft jahrelang auf die Hilfe ihrer Mütter angewiesen sind. Indem sie ihre eigene Fortpflanzung beenden, können ältere Mütter den Fortpflanzungswettbewerb mit ihren Töchtern vermeiden und sich voll und ganz auf die Unterstützung der vorhandenen Nachkommen, insbesondere der erwachsenen Söhne, konzentrieren.
Unsere Forschung hat gezeigt, dass es eine Kombination zwischen der Unterstützung, die ältere Orca-Weibchen ihrer Gruppe bieten können und der reproduktiven Konkurrenz zwischen Müttern und Töchtern ist, die die Entwicklung der Menopause in den Populationen der Resident Orcas vorantreibt. Dabei handelt es sich um genau dieselben Mechanismen, die auch hinter der Evolution der Wechseljahre beim Menschen vermutet werden.
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