Wale, Delfine und gesunde Meere in Zeiten des Lockdowns

Jeder, der schon einmal Blauwale, Buckelwale oder Pottwale beobachtet hat, erinnert sich an den kraftvollen Blas kurz vor dem Einatmen. Er ist deutlich zu sehen und zu hören. Ob Wale und Delfine wohl bemerken, dass die Luft mit Beginn der Einschränkungen der Corona-Pandemie sauberer geworden ist? Spüren sie, dass es weniger Schiffsverkehr gibt? Das Risiko, dass sich ein Wal in einem Fischernetz verfängt, von einem Containerschiff getroffen, durch Motorengeräusche oder einen Ölteppich gestört oder verdrängt wird, ist jetzt möglicherweise geringer – zumindest für eine Weile.
Es fühlt sich wie Jahre an, wenn ich an mein letztes persönliches Treffen mit Kolleg*innen vor der Corona-Pandemie denke. Anfang Februar stieg ich in ein Flugzeug nach Perth in Australien, um zusammen mit 30 anderen Wissenschaftler*innen an einem einwöchigen wissenschaftlichen Workshop zur Identifizierung von wichtigen Lebensräumen von Walen in Australien und Neuseeland teilzunehmen. Mit vorübergehender Besorgnis stellte ich fest, dass China über einen Anstieg der COVID-19-Fälle in Wuhan berichtete.
Ich erinnere mich, dass ich damals Wuhan auf der Landkarte suchte, um herauszufinden ob sich die Stadt an der Küste befindet. Ich stellte fest, dass Wuhan sich flussaufwärts am Jangtse-Fluss befindet. Der Jangtse-Flussdelfin, oder auch Baiji genannt, starb 2006 offiziell aus. Allerdings fragte ich mich kurz, ob es dort vielleicht noch einige gefährdete Schmalschnauz-Delfine ohne Flossen gibt. Nach Angaben auf der Roten Liste der IUCN wird dies für möglich befunden.
Auf der Landkarte konnte ich sehen, dass Wuhan weit im Landesinneren in der zentralchinesischen Provinz Hubei liegt. Es schien weit entfernt von unserer Arbeit zur Kartierung der Gebiete, die für Wale, Delfine und andere Meeressäuger im südostindischen Ozean und rund um Australien und Neuseeland wichtig sind. Es war seit Ende 2016 inzwischen unser 6. Treffen einer Workshop-Reihe zum Thema „Important Marine Mammal Areas“ (IMMAs, auf Deutsch "Wichtige Meeressäugergebiete"), in deren Verlauf wir Lebensräume im Mittelmeer, im Südpazifik und im Indischen Ozean sowie in den Gewässern um die Antarktis identifizierten und kartieren.
Mitte Februar, nach unserem Workshop in Perth, flog ich nach Hause. Bei einem Zwischenstopp in Singapur trugen fast alle eine Maske, die Passagiere wurden befragt, auf Anzeichen des Virus untersucht und mussten angeben, ob sie sich kürzlich auf Durchreise in China befanden. Mein Anschlussflug von Singapur nach Paris war wegen der vielen Annullierungen nur halb voll, ich hatte vier Plätze zum Schlafen. Bei der Landung in Paris gab es weniger Masken, aber ein Sturm in England führte zu weiteren Flugausfällen. Ich schaffte es nach einer Reihe von unterbrochenen Zugfahrten, Ersatzbussen und Taxis wieder nach Hause. Als sich die Ausbreitung des Virus in China intensivierte und sich nach Italien und ganz Europa auszubreiten begann, war ich einfach nur glücklich, zu Hause in Dorset zu sein.
Zusammen mit meinen Kolleg*innen der Whale and Dolphin Conservation und des Tethys-Forschungsinstituts in Italien arbeiten wir nun alle von zu Hause aus. Die 45 neu identifizierten Lebensräume müssen für das unabhängige Überprüfungsgremium auf- und vorbereitet werden. Denn das Gremium wird letztlich darüber entscheiden, ob unsere Empfehlungen zum Schutz dieser Gebiete umgesetzt werden. Wird ein Gebiet anerkannt, werden wir es in einen elektronischen Atlas aufnehmen und mit politischen Entscheidungsträgern Gespräche über den Schutz dieser wichtigen Meeresgebiete und der dort lebenden Arten führen. Ob unser nächster Workshop in Costa Rica im September stattfinden kann, ist noch unklar. Dort sollen die Lebensräume der Meeressäuger für die pazifischen Gewässer vom Norden Mexikos bis zur Spitze Chiles kartiert werden.

(C) Douglas Hoffman
Unsere „Important Marine Mammal Areas“ (IMMAs), sind nach dem Vorbild der „Important Bird and Biodiversity Area“ (IBA) gestaltet. Die gemeinnützige Organisation zum Schutz von Vögeln „BirdLife“ hat mit diesen definierten Gebieten in den letzten Jahrzehnten große Erfolge erzielt. Die Lebensräume von Walen und anderen Meeressäugern waren im Vergleich zu den Vogelgebieten jedoch relativ unbekannt. Die Daten sind nach wie vor weit verstreut und größtenteils unveröffentlicht. Mit den IMMA konnten wir nun ein robustes biozentrisches System schaffen, das sich auf Experteneinschätzungen und Daten stützt, um die wichtigen Lebensräume verschiedener Wal- und Delfin-Populationen zu identifizieren.
Die Gebiete, die wir festgelegt haben, entsprechen den Lebensräumen, die die Wale vermutlich selbst verteidigen würden. Die Außenlinie umschließt ihre bevorzugten Aufenthaltsorte zur Nahrungsaufnahme, Paarung und Aufzucht von Nachwuchs. Es sind die Orte, an denen sie sich zum Singen und Interagieren mit Artgenossen aufhalten.
Die IMMAs beantworten damit die grundlegende Frage: Auf welche wichtigen Gebiete müssen wir unsere Bemühungen um Schutz konzentrieren?
Wie werden sich diese wichtigen Lebensräume der Wale, Delfine und Tümmler in den Ozeanen und Flüssen verändern, wenn die Wirtschaft nach der Pandemie wieder anläuft?
Genauso wie wir uns gerade auf unsere Gesundheit und unser Wohlbefinden konzentrieren, muss künftig auch die Genesung unserer Ozeane von grundlegender Bedeutung sein. Die Bewältigung der Klimakatastrophe mit einer gewissen Dringlichkeit, wie sie die Welt jetzt empfindet, wäre ein guter Anfang.
Einige der Lehren, die wir aus der COVID-19-Pandemie ziehen, gelten auch für den klimatischen Notstand:
- Wir sind auf gute Wissenschaft und Wissenschaftler*innen angewiesen.
- Wir müssen die Wahrheit sprechen und sicher sein, dass kursierende Informationen auch wirklich wahr sind – „Fake News“ werfen uns immer wieder zurück.
- Wir sind alle miteinander verbunden – die Handlungen eines einzelnen Menschen beeinflussen viele andere, sogar die ganze Welt.
Wenn ich darüber nachdenke, stelle ich fest, dass sich unsere Bemühungen für Wale und Delfine in gesunden Meeresökosystemen nur auszahlen, wenn wir alle drei dieser Lektionen auch wirklich beachten.
Erich Hoyt schrieb diesen Blogbeitrag, bevor er im Rahmen des Jobbindungsprogramms der britischen Regierung beurlaubt wurde.
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