Jeder Einzelne zählt!
In meinem Blog vor Weihnachten hatte ich das immense globale Sterben von Delfinen durch Menschenhand beschrieben. Das geht mir auch weiterhin jeden Tag sehr nahe. Die Zahlen sind schlimm. Aber Zahlen sind nicht alles.
Bei meinen Vorträgen über Delfine beschreibe ich gerne ihre Intelligenz, ihren engen sozialen Zusammenhalt und ihre kulturellen Eigenheiten. Dabei betone ich immer wieder, dass es sich bei diesen Tieren um Individuen mit Persönlichkeit handelt. Sie haben spezifische Fähigkeiten, Eigenheiten und Neigungen, die jeden Delfin einzigartig machen. Damit besitzt jeder Delfin einen Wert an sich (einen Eigenwert) – und eine Würde.
Der heutzutage gängige Ansatz im Artenschutz steht dem entgegen: da heißt es, wenn eine bestimmte Anzahl Tiere („Exemplare“) erhalten wird, sei die Art gesichert. Ein reines Zahlenspiel also.
Dieser Ansatz geht – wie wir heute wissen – nicht weit genug. Zumindest bei den Arten, bei denen nachgewiesen wurde, dass die Individuen sogenannte höhere Kognitionsleistungen erbringen. Damit gemeint ist Denken, Abstrahieren, Probleme lösen, sich in andere Hineinversetzen, Selbstbewusstheit, etc. Sie haben auch ein reiches emotionales Erleben und gruppenspezifische Eigenheiten (Traditionen und mithin Kultur). In solchen Gemeinschaften spielen bestimmte Individuen eine besondere Rolle, je nach ihren Fähigkeiten. Andere, z.B. ältere mit einem großen Erfahrungsschatz, können eine Anführer-Rolle innehaben. Damit fehlt aber auch genau diese Rolle, wenn das Tier getötet wird. Diese Besonderheiten von Tiergemeinschaften werden im heutigen Artenschutz praktisch nie berücksichtigt.
Meine WDC-Kolleginnen Sarah Dolman und Philippa Brakes haben nun eine wichtige wissenschaftliche Arbeit veröffentlicht, die sich diesem Problem angenommen hat. Die beiden Biologinnen beleuchten das unendliche Leiden der Delfine, wenn diese durch Menschenhand umkommen – oder aber als „Beifang“ in Netzen verenden. Wir können erstens dieses Leiden nicht mehr ignorieren. Denn unser Wissen um die Leidensfähigkeit der Individuen muss dazu führen, dass wir es vermeiden. Zumindest dort, wo unsere Hände mit ihm Spiel sind.
Zweitens müssen wir bedenken, was mit den Delfin-Gemeinschaften passiert, wenn wir ihnen massenweise Mitglieder entreißen. Es ist nicht nur deshalb so schlimm, weil das ökologische Gleichgewicht angegriffen wird, auch das Gleichgewicht innerhalb der sozialen Gemeinschaften wird gestört oder gar zerstört. Trauer um Verstorbene ist uns nicht fremd, wir können uns also gut vorstellen, was der Tod eines Delfins für die anderen bedeutet. Dass es emotional bedeutsam ist, ist die eine Seite, dass ein soziales Gefüge auch zerbrechen kann, die andere.
Artenschutz ist so betrachtet eben kein Zahlenspiel, sondern die Aufgabe, jedes Individuum um seiner selbst willen und um der intakten Gemeinschaft willen zu erhalten. Dass wir davon heute noch meilenweit entfernt sind, ist tragisch. Deswegen bin ich meinen beiden Kolleginnen so dankbar, dass sie sich dieses Themas auf wissenschaftliche Art und Weise genähert haben.