Interview mit der russischen Orca-Forscherin Tatiana Ivkovich
Tatiana Ivkovich ist wissenschaftliche Mitarbeiterin bei FEROP (Far East Russia Orca Project). Im Interview mit WDC erzählt sie von ihrer Arbeit.
Tatiana, Sie kommen gerade von Ihrer Orca Forschung in Kamtschatka zurück. Was sind die wichtigsten Eindrücke von der diesjährigen Feldforschung?
Dieses Jahr war es besonders ereignisreich. Wir sind auf 15 verschiedene fischfressende Orcafamilien gestoßen. Die meisten dieser Familien sind dort heimisch: Wir kennen sie von unseren Forschungen aus den Jahren 1999 bis 2005, als FEROP (Far East Russia Orca Project) gerade begonnen hatte, und wir haben diese Familien regelmäßig im Golf von Avacha in Kamtschatka getroffen. Erfreulicherweise wurden 2016 und 2017 sechs Orca Babys geboren und auch die zuvor geborenen Orcas haben alle überlebt. Zwei von dieser jüngeren Generation sind jetzt selbst Mütter geworden – AV065a und AV054b – wir kennen sie aus den Jahren 2004 und 2005, als sie selbst noch jung waren. Unser Forschungsschwerpunkt ist die Beobachtung des Jagdverhaltens und damit der Ernährung der Orcas in dieser Gegend. Wir konnten 35 Fischproben (Schuppen und Gewebe) nach Orca Jagden dem Wasser entnehmen.
Auch fleischfressende Orcas konnten wir bei ihrer Jagd ausgiebig beobachten, was eine Besonderheit ist, da sie nur sehr selten im Golf von Avacha vorkommen. Für gewöhnlich sind sie beim Jagen still und verständigen sich untereinander erst danach. Aber diesmal konnten wir Tonmaterial von über zwei Stunden mitbringen, das wir nun auswerten werden.
Wie hilft die FEROP Forschung dem Schutz der Orcas in Russland?
Es ist sehr wichtig mehr über die Orca-Population und ihre Struktur im äußersten Osten Russlands zu lernen. Wir wissen nach wie vor zu wenig über Orcas in entlegenen Gebieten wie denen der Kurilen-Inseln. Die wenigen Daten, die wir haben, legen nahe, dass sich die fischfressende Orca-Gemeinschaft um die Kurilen von der um Kamtchatka unterscheidet. Gleichzeitig haben wir herausgefunden, dass fleischfressende Orcas zwischen dem östlichen Kamtchatka und den mittleren Kurilen hin- und her wandern. Sie sind eine kleine Gruppe, die aber weite Distanzen zurücklegt. Leider werden in Russland nach wie vor Orcas für Delfinarien eingefangen, meist sind das Ziel fleischfressende Orcas. Diese Orcas finden sich im aktuellen Entwurf der Roten Liste für bedrohte Arten in Russland. Sollte dieser Entwurf angenommen werden, dann dürften keine weiteren fleischfressenden Orcas gefangen werden.
Neben der Gefahr gefangen zu werden gibt es eine weitere, ernste Bedrohung der Orcas in Russland: den Verlust ihrer Nahrungsquellen. Bis 2006 waren Atka Makrelen die Hauptnahrungsquelle der fischfressenden Orcas im Golf von Avacha. Die Brutgebiete der Makrele wurden jedoch durch intensive Fischerei leergefischt und so stellten die Orcas auf Lachs als Nahrung um, was wiederrum zu verändertem Jagdverhalten und Lebensgewohnheiten führt, besonders bei weiblichen Orcas. Wir müssen weiter erforschen, wie es den Orcas mit dem veränderten Jagd- und Nahrungsverhalten geht um sie schützen zu können. Gleichzeitig müssen wir unsere Erkenntnisse publik machen, mit den Menschen sprechen und verdeutlichen, welchen Gefahren Orcas ausgesetzt sind. Nur wenn die Gesellschaft darüber Bescheid weiß, wird es mehr Verständnis für Umweltfragen geben. Während unserer Feldforschung halten wir Vorträge in Kamtchatka und im Winter in Moskau und in St. Petersburg.
Wie sehen die Pläne von FEROP für die nächste Feldforschung aus?
Wir hoffen sehr, dass wir unsere Forschung in Kamtschatka fortsetzen können. In den vergangenen Jahren waren die Orcas im Juli kaum im Golf von Avacha zu sehen, sondern eher nördlich davon. Dort wollen wir Daten zur Beute und Jagdverhalten der Orcas erheben. Wir werden auch das Sozialverhalten der Orca-Babys erforschen. Im August und September 2018 werden wir im Golf von Avacha unterwegs sein. In den vergangenen Jahren hat sich dort das Whale Watching rasant entwickelt. Es ist jetzt sehr wichtig, mit den Betreibern zusammenzuarbeiten, um ein verantwortungsvolles Whale Watching sicherzustellen. Dazu werden wir mit den Betreibern der Boote sprechen und Informationsbroschüren zur Verfügung stellen – sowohl für die Betreiber als auch für Touristen. Außerdem wollen wir weiterhin um die Kurilen forschen um eine bessere Datenbasis von diesem abgelegen Gebiet Russlands zu erhalten.
Wie sind Sie Walforscherin geworden?
Schon mit elf Jahren wusste ich, dass ich Wale und Delfine erforschen möchte. Ich studierte dann an der Universität St. Petersburg in der Hoffnung, dass es dort gute Bedingungen zur Walforschung gäbe, was sich aber nicht bewahrheitete. Durch Zufall erfuhr ich von FEROP und seinem Leiter Dr. Burdin, der mich einlud, bei der Feldforschung 2002 mit dabei zu sein. Erst durch FEROP wurde ich zu einer richtigen Wissenschaftlerin. Es ist ein Projekt wie man es nirgendwo sonst in Russland findet. Es gibt russischen Studenten und jungen Wissenschaftlern die Möglichkeit, qualitativ hochwertige Feldforschung durchzuführen. Ich bin allen Unterstützern dieses Projekts sehr dankbar, ohne die wir dieses wichtige Forschungsvorhaben nicht weiter voranbringen könnten.
Erich Hoyt, WDC Research fellow, ergänzt:
Das FEROP Projekt wurde auf einer Konferenz 1998 ins Leben gerufen, als ich den jetzigen Leiter des Projekts, Alexander Burdin und Hal Sato auf einer Konferenz in Hokkaido traf. Wir taten uns zusammen, um das erste Projekt überhaupt zur Erforschung der Orcas in russischen Gewässern ins Leben zu rufen. Von Anfang an war klar, dass es ein Projekt sein würde, das russischen Studenten die Möglichkeit bieten sollte, wissenschaftliche Forschung zum Schutz der Orcas durchzuführen.
1999 starteten wir mit einer Pilotstudie, die ersten beiden Studenten kamen mit an Bord und in den folgenden 17 Jahren bis heute hat das Projekt 40 Studenten ausgebildet, die mit diesem Projekt ihren akademischen Abschluss machten (mindestens sieben MSc’s und vier PhDs). Ohne externe Finanzierung und Unterstützung gäbe es dieses wichtige Forschungsprojekt nicht, dem WDC mit Erich Hoyts Involvierung quasi eine Heimat gibt und das von einer Reihe weiterer Organisationen und Stiftungen mitfinanziert wird.