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Paten-Delfin Charlie © Charlie Phillips

Charlie – eine starke Persönlichkeit!

Charlie als Jungtier mit seiner Mutter Kesslet. © Charlie Phillips Mit seinen 16 Jahren hat...
Bucht von Taiji © Kunito

Geliebt und gejagt: Wale und Delfine in Japan

Wer unsere News und Blogs über Japan verfolgt, der hat meinen Namen sicherlich schon das...
© Flavio Gasperini

Ein Ozean voll Hoffnung

Das Hochsee-Abkommen, das 95 Prozent der Erdfläche schützen soll, ist ein eindrucksvolles Beispiel globaler Zusammenarbeit....
Current © OrcaLab

Current – ein echter Familien-Orca!

Current in der Johnstone Strait © Gary Sutton Current oder auch "Curry", wie wir diese...

Ein ganzheitlicher Ansatz für den Umweltschutz

Auf Einladung von ASCOBANS durfte WDC-Geschäftsführer Chris Butler-Stroud die Eröffnungsrede der diesjährigen Vertragsstaatenkonferenz im finnischen Helsinki (29. August bis 1. September 2016) halten sowie den ASCOBANS Bildungspreis entgegen nehmen. Es folgt der Text der Rede.

Seit 1999 leite ich WDC (ehemals WDCS). Seit Beginn prägen und beschäftigen mich die Probleme, von denen Meeressäugetiere weltweit betroffen sind. Als Teil dieser Aufgabe haben ich und meine Kollegen die Ziele und Ambitionen des Abkommens zur Erhaltung der Kleinwale in der Nord- und Ostsee, des Nordostatlantiks und der Irischen See (ASCOBANS) stets unterstützt.

Für diese Eröffnungsrede habe ich mir vorgenommen, nicht einfach nur die Agenda durchzusprechen, die in dieser Woche vor Ihnen liegt. Zwar werde ich einige der Beschlüsse erwähnen, beabsichtige aber vielmehr die Ziele von ASCOBANS mit einer neuen Vision zu beleuchten.

Kumulative Bedrohungen

Ich möchte mit den kumulativen Gefahren beginnen, die Meeressäuger weltweit bedrohen. ASCOBANS wurde ursprünglich ins Leben gerufen, um sich gemeinsam diesen Gefahren zu stellen. Im September 1994 durfte ich an der ersten Vertragsstaatenkonferenz von ASCOBANS im schwedischen Stockholm teilnehmen.

Die Erwartungen an dieses Treffen waren hoch. Nach jahrelangem Bestreben, die Politik im Rahmen anderer Konventionen zu beeinflussen, einigten sich die Vertragsstaaten auf ein Abkommen unter der Bonner Konvention, das den Versuch den Schutz für die Meeressäuger teilweise zu umgehen, verhindert sollte.

Ambitionen

Rückblickend auf einige dieser frühen Bestrebungen erhoffte Schweden damals als Gastgeber dieses Treffens, dass es „einen Grundstein für erfolgreiche Schutzmaßnahmen für kleine Meeressäuger legen würde“. Das Vereinigte Königreich, das damals zwischenzeitlich das Sekretariat stellte, bezeichnete es als „Gelegenheit, um Koordination und Umsetzung der Vereinbarung zu stärken“. Als WDC bekundeten wir damals unsere Hoffnungen, dass „die Vertragsstaaten einen Vorsorgeansatz übernehmen und in Erwartung wissenschaftlicher Ergebnisse die Schutzmaßnahmen nicht weiter verzögern würden.“

Falls dies vertraut klingt, werden Sie sicher darin ein Leitmotiv erkennen, das WDC und andere nichtstaatliche Organisationen, die ASCOBANS unterstützen, stets verfolgten. Ich betone den Optimismus dieses damaligen Treffens, da wir über die letzten 22 Jahre unser Wissen über diese wunderbaren Kreaturen erweitern konnten und nun über ein tiefergreifendes Verständnis jener anthropogenen Bedrohungen verfügen, die wir abzumildern versuchen.

In dieser Zeit wurden uns die wahren Auswirkungen künstlicher Schadstoffe wie polychlorierter Biphenyle (PCBs) und die zunehmende Präsenz der Effekte eines anthropogen bedingten Klimawandels bewusst. Viele der hier repräsentierten Staaten waren unter den ersten, die den  Klimawandel als Bedrohung erkannten und sich seither für eine Schadensminimierung einsetzen. Gleichzeitig kamen wir zu der Erkenntnis, dass diese individuellen Gefahren nicht isoliert betrachtet werden dürfen, um die Bedrohung der Meeressäuger zu bekämpfen. Vielmehr ist ein ganzheitlicher, integrativer Ansatz notwendig.

Ich gratuliere ASCOBANS zu seiner Vision und Voraussicht, sich diesen Problemen angenommen zu haben und aktiv Regierungen, Firmen, die Öffentlichkeit, die Industrie und alle Interessengruppen zur Zusammenarbeit zu bewegen, um gemeinsam dieser Herausforderungen zu begegnen.

Bitte verzeihen Sie mir die Fokussierung auf „Meeressäuger“ oder auch „Wale“ im weiteren Verlauf meiner Rede. Selbstverständlich bin ich mir des Themenspektrums der Vereinbarung bewusst. Viele der Bemühungen, die wir in dieser Woche für die kleinen Meeressäuger durchführen werden, werden jedoch auch einen positiven Effekt für deren größere Verwandte haben.

Wir sollten uns an die Intentionen der ursprünglichen Vertragsstaaten erinnern und nicht versehentlich aus mangelnder Originalität (oder kurzfristiger, politischer Opportunität) erlauben, uns als geringer zu betrachten als wir sein könnten und müssen.

Kumulative Auswirkungen

Der reduktionistische Ansatz, mit anthropogenen Effekten umzugehen, wird zunehmend als ungeeignetes Mittel betrachtet, um einen erstrebenswerten Schutzstatus für Meeressäuger und andere Arten zu erreichen.

Natürlich setzen wir Prioritäten und in Zeiten ökonomischer Einschränkungen werden wir vor wachsende Herausforderungen gestellt werden. Ich würde aber vorziehen, finanzielle Aspekte später behandeln und in diesem Rahmen erst einmal den Schwerpunkt auf die bestmöglichen Lösungen legen, die wir empfehlen können. Denn es geht nicht nur um das, was ASCOBANS tun kann, sondern auch, was wir im weiteren Umfeld des Meeressäugerschutzes beeinflussen können.

Das Bewusstsein über die Existenz mehrerer, kumulativer und oft synergetischer Gefahren mit ihren möglichen Auswirkungen in den unterschiedlichsten Bereichen war ein essenzieller und wichtiger Schritt für uns, um den Schutz der marinen Umwelt und der Meeressäuger sicherzustellen und sogar eine Anwachsen der Populationen zu gewährleisten. ASCOBANS wurde stets als Verfechter des Zieles gesehen, das Niveau anthropogener Störfaktoren für Kleinwale so gering wie möglich zu halten. Das generelle Ziel bleibt, anthropogen bedingte Verluste von Populationen zu minimieren und letztendlich ganz zu stoppen.

Mit „Verluste“ – bitte verzeihen Sie meine Wortwahl – meine ich die Unfähigkeit, sich für die Populationen in einem biologisch signifikanten Maße einzusetzen und nicht unbedingt eine physische Entnahme aus dem Meer. Natürlich wäre letztere Definition „politisch praktikabler“ in Zeiten begrenzter Ressourcen, wir müssen jedoch die tatsächlichen Auswirkungen unserer Handlungen auf Meeressäuger und auf die Belastbarkeit von Populationen in all ihren Facetten kennen und verstehen.

Aus diesem Grund begrüße ich die Beschlüsse, die in dieser Woche vor uns liegen und bitte Sie, deren Bedeutung für zukünftige Schutzbestrebungen sorgfältig abzuwägen. Besonders ermutigend finde ich den Beschlussvorschlag zum „Management kumulativer, anthropogener Effekte in der marinen Umwelt“, wie er vom beratenden Ausschuss eingereicht wurde.

Bei der Bestrebung, die Industrie, Regierungen, die Gesellschaft und auch alle Interessengruppen zu einer Kooperation zu bewegen, um Schutzmaßnahmen durch Vermeidung kumulativer und synergetischer Effekte für Meeressäuger zu verbessern, geht ASCOBANS seiner Verpflichtung von vor 22 Jahren nach, einen ganzheitlichen Ansatz zu verfolgen, der über Flickwerk hinausgeht und stattdessen eine wissenschaftliche und politische Umgebung schafft, wo wir Meeressäugerpopulationen wieder in gesunden Ozeanen aufblühen sehen können.

Dies ist natürlich keine neue Idee und es überrascht nicht, dass eine Mitgliedschaft bei ASCOBANS bedeutet, dass unsere Politik auch Einfluss auf die EU-Politik hat und dies auch sollte. So fordert die EU Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie (MSRL) einen guten Umweltzustand (GUZ) bis 2020. Dieser Ökosystem-Ansatz ist zu begrüßen, doch wie so oft steckt der Teufel im Detail. In diesem Falle in der Umsetzung von guten Intentionen.

Unter den Indikatoren 1 und 4 der MSRL stehen spezifische Voraussetzungen hinsichtlich dessen, was für die Verteilung und das Vorkommen der jeweiligen Art „normal“ ist und dass alle Elemente des marinen Nahrungsnetzes in „normaler“ Häufigkeit und Diversität und auf Niveaus existieren, die ein Vorkommen auf Dauer und die Rückkehr zu einer vollen Regenerationskapazität sicherstellen.

Maßnahmen, um einen guten Umweltstatus für andere Indikatoren zu erreichen, die sich auf Lärm, andere Formen der Verschmutzung, Müll im Meer und Fischbestände beziehen, sollten demnach positiv zum Meeressäugerschutz beitragen, während EU-Mitgliedstaaten ihre rechtlichen Verpflichtungen gegenüber der Union erfüllen.

Die Europäische Kommission hat kürzlich kritisiert, dass Mitgliedstaaten innerhalb des rechtlichen Kontexts der EU einen Mangel an „Ehrgeiz und Kohärenz in den Zielen und Maßnahmen zeigten.“

Die Öffentlichkeit verfolgt genau, ob ein Mangel an Ehrgeiz bei den Mitgliedstaaten zur Umsetzung der Rahmenrichtlinie  auf eine zu starke Abhängigkeit von bestehenden Gesetzgebungen und Management-Maßnahmen zurückzuführen ist oder wie schon seit jeher – heute aber umso mehr –  aufgrund eines Mangels von Finanzierungsmöglichkeiten entsteht, die Unsicherheit aufkeimen lassen, wie Schutzziele mit den Bedürfnissen anderer mariner Sektoren in Einklang gebracht werden können.

Wir alle wissen, dass der Umweltschutz leidet, wenn das Wirtschaftswachstum sinkt – wir vergessen manchmal, dass eine gesunde Umwelt oft zu einer gesunden Wirtschaft führt.

Ich warne davor, den Mangel an Finanzierungsoptionen zu früh zu einem Pragmatismus werden zu lassen bei der Definition dessen, was wichtig ist, um unsere Ziele zu erreichen. Unsere Rolle hier bei ASCOBANS ist es nicht, die Ziele des Abkommens pragmatisch zu betrachten, sondern sicherzustellen, dass wir die richtigen Empfehlungen geben, damit die Unterzeichner-Staaten ihren Verpflichtungen nachkommen.

Natürlich sind Beschlüsse, die einzelne Gefahren thematisieren, zu begrüßen. Wir dürfen dabei nur nicht vergessen, dass jede einzelne dieser Gefahren mit anderen eng verknüpft ist.

Beifang

Unter den spezifischeren Beschlüssen hebe ich den Resolutionsentwurf zum Monitoring und zur Vermeidung des Beifangs von Kleinwalen besonders hervor.

Der Beschluss betont, dass Beifang noch immer ein Hauptgrund für die hohe Sterblichkeit der Meeressäuger in Europa darstellt und formuliert einige Definitionen und Ziele, um den Beifang komplett zu beenden.

Ich glaube, dass wir dieses Ziel auf unserem weiteren Weg niemals aus den Augen verlieren sollten. Die Vergangenheit zeigt, dass sich solche weitreichenden Ziele als wirksam erweisen, um Multistakeholder-Gruppen zu mobilisieren. Dies wird deutlich am Ansatz des US Marine Mammal Protection Act Take Reduction Teams.

Ich erinnere mich gut daran, als das Konzept der 1,7 % erstmals diskutiert wurde. Aber entsinne ich mich richtig, dass dieses Modell niemals auf alle Kleinwalarten bezogen war? Ich erinnere mich auch, dass solche Impulse eigentlich für spezifische, lokale Managementeinheiten entwickelt werden sollten und nicht für ganze Arten. Sollte dieses ursprüngliche Modell nicht nur für Schweinswale angewendet werden, während derweil bessere Konzepte entwickelt würden? Aktuelle Ansichten zu diesem Thema sind mir vielleicht nicht im Detail bewusst, aber die Tatsache, dass wir nach knapp zwei Jahrzehnten das 1,7 %-Modell noch immer diskutieren, ist irgendwie entmutigend. Was aber noch schlimmer ist: Die Schweinswal-Population in der zentralen Ostsee ist auf nur mehr etwa 500 Individuen gesunken.

Wie die Internationale Walfangkommission mit der kritischen Situation des Maui-Delfins und des Kalifornischen Schweinswals umgegangen ist, beunruhigt mich. In beiden Fällen waren sich die jeweils betroffenen Nationen über die bedrohenden Faktoren bewusst und in beiden Fällen schrumpfen die Populationen nach wie vor. Es wäre beschämend, wenn die Ostsee-Schweinswale und die Mitglieder von ASCOBANS im selben Atemzug mit den Maui-Delfinen genannt werden würden.

Die Resolution zum Thema Beifang stellt uns vor die Aufgabe, eine gemeinsame Sprache zu entwickeln, um effiziente Maßnahmen zu ergreifen, ohne dabei unser großes Ziel aus den Augen zu verlieren, den Beifang komplett zu stoppen. Wir wollen von der Öffentlichkeit nicht wahrgenommen werden als würden wir uns aus unserer Verantwortung stehlen.

Wieso Zweifel?

Erstens, weil wir aufgrund der kumulativen Effekte glauben, dass sichere, identifizierbare Niveaus des Beifangs nicht existieren können. Die kumulativen Effekte aktueller Bedrohungen legen nahe, dass wir mit der Minimierung nur eines Risikofaktors das Problem nicht lösen können.

Zweitens, weil der Ansatz in meinen Augen im Kontrast zu den erklärten Zielen des Abkommens steht. Er könnte daher Teilnehmer entmutigen, sich weiter für den Meeressäugerschutz einzusetzen und nachhaltige Lösungen zu finden, um den Beifang zu stoppen.

Drittens – wie ich in Kürze diskutieren werde und wie uns wissenschaftliche Erkenntnisse zeigen – wir dürfen uns Gruppen von Meeressäugern nicht als homogene Einheiten vorstellen, die Populationen oder Arten bilden. Wir müssen den Fokus auf das Individuum legen, die eine essenzielle Rolle für bestimmte Gemeinschaften und damit der ganzen Population spielen. Leider handelt es sich bei Beifang um keinen selektiven Auswahl-Mechanismus – es werden nicht nur die alten und ausgedienten Individuen der Population entnommen, sondern betrifft ebenso die jungen und „wichtigen“ Tiere.

Viertens bezweifeln wir, dass die Öffentlichkeit „sichere Niveaus von Beifang“ akzeptieren würde.

Wir wissen, wie viele Meeressäuger von Beifang betroffen sind, und sorgen uns um das Wohlergehen der Tiere. Und obwohl es nicht immer im Vordergrund steht, bleibt das Wohl der Tiere stets ein Thema sowohl für die allgemeine Öffentlichkeit, als auch für Wissenschaftler und Fischer.

Ich möchte an dieser Stelle gerne ein paar Worte zum  Tierwohl sagen.

Nicht selten als kleiner Verwandter des Tierschutzes gesehen, ist unsere Besorgnis um das Wohlergehen und die Gerechtigkeit für andere Lebewesen eines der Dinge, die uns als Menschen ausmachen. Das darf nicht ignoriert werden, wenn wir die Lebensumstände für Tiere wie Meeressäuger verbessern möchten.

Andere Abkommen integrieren dieses Thema zunehmend in ihre Beschlüsse. Dies wird besonders deutlich an der Arbeit der Internationalen Walfangkommission zum Thema Verfangen von Walen. Dabei besteht mindestens ein doppelter Bezug zum Tierschutz.

Erstens, kann die Beeinträchtigung des Tierwohls wilden Tieren zu einer Verringerung der Überlebenschancen führen. Tiere, die sich beispielsweise in einem Netz verfangen haben und dieses mit sich schleppen, werden eher durch Krankheiten weiter beeinträchtigt.

Zweitens bin ich der Überzeugung, dass die Fürsorge für ein Tier stark verknüpft ist mit der Fürsorge für seine soziale Gruppe, seine Population, seine Art! Das sind zwei Seiten derselben Medaille.

Kehren wir zur Resolution zurück. Handeln braucht Auslöser, die uns dabei helfen Prioritäten zu setzen und unsere Schutzbemühungen zu intensivieren. Diese Interventionen müssen aber selbst auch genau das sein: Auslöser für weiteres Handeln und keine Ausreden für die Reduzierung von Maßnahmen.

Was vielleicht wie ein pragmatischer Weg erscheint, um Ausgaben zu reduzieren, darf keine Entschuldigung sein, um Handlungen zu begrenzen. Ich bitte die Mitgliedsstaaten eindringlich, kritisch über Modelle nachzudenken, die ihren Fokus auf die Ausgabenminimierung legen und dabei die synergetischen und kumulativen Effekte für Meeressäuger vernachlässigen.

Ja, eine Anpassung existierender Fischerei-Monitoring-Programme kann uns mehr Informationen geben und vielleicht müssen wir hier Prioritäten setzen, aber nur weil wir in „Zeiten begrenzter Budgets“ leben, sollten wir die Worte Edmund Burkes nicht außer Acht lassen, der sagte: „Bloße Sparsamkeit macht noch keine Wirtschaft. Ausgaben sind ein essenzieller Teil einer funktionierenden Ökonomie.“

Dies bringt mich zum Thema Umweltverschmutzung

Im Jahre 1994, als wir den Aufgabenbereich des ersten beratenden Ausschusses diskutierten, gab es eine Debatte, ob ASCOBANS Umweltverschmutzung thematisieren oder dieser Bereich anderen Foren überlassen werden sollte.

Die Vernunft siegte und die frühen Wegbereiter verstanden schon damals die Wichtigkeit eines ganzheitlichen Ansatzes. Trotz dieser Voraussicht stellen wir heute mit Bestürzung fest, dass dieses Problem noch immer präsent ist und erneut über die Auswirkungen von polychlorierter Biphenyle (PCBs) diskutiert werden muss. Eine wachsende Zahl wissenschaftlicher Arbeit beschäftigen sich mit diesem und anderen Themen der Umweltverschmutzung – inklusive den kürzlich erschienenen, exzellenten wissenschaflichen Veröffentlichungen von Jepsen et al. über PCBs.

In einer gesamteuropäischen Analyse gestrandeter Meeressäuger wiesen drei von vier Arten – Blau-weiße Delfine, Große Tümmler und Orcas – besorgniserregende Konzentrationen von PCBs auf, die jegliche bisher bekannte Toxizitätsgrenzen überschritten. Der Bericht zeigt, dass wir die historischen Konzentrationen von PCBs als Folge von EU- und anderen Verboten aus den 1980er Jahren zunächst haben sinken sehen, dass sich aber deren Konzentration beispielsweise in Schweinswalen seither stabilisiert hat. Die kleinen bzw. schrumpfenden Populationen von Großen Tümmlern und Orcas im Nordostatlantik weisen heute noch immer geringe Reproduktionsraten auf, die auf die PCB Belastung zurückzuführen ist.

Wir haben wohl alle gehofft, dass die chemische Umweltverschmutzung zu den sinkenden Bedrohungen zählt. Nun müssen wir aber davon ausgehen, dass die gleichbleibenden und teilweise erhöhten PCB-Belastungen einen signifikanten Effekt auf Populationsgrößen einiger europäischer Arten in den ASCOBANS-Gebieten haben.

Lärm

Ich freue mich über die Tatsache, dass die Arbeit von ASCOBANS und ihrer Schwesterabkommen, dem Übereinkommen zum Schutz der Wale des Schwarzen Meeres, des Mittelmeeres und der angrenzenden Atlantischen Zonen (ACCOBAMS), sich mit dem Problem Lärm auseinandersetzen wird. Die Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie der EU ist ein guter Anfang für die Überwachung bestimmter Aspekte des Unterwasserlärms. Ich bin aber der Überzeugung, dass wir uns noch immer auf einen klaren Einflussindikator einigen müssen.

Wir begrüßen die Arbeit, die Deutschland auf diesem Gebiet geleistet hat und drängen ASCOBANS darauf aufzubauen:

  • Wir benötigen vorbeugendes Management und Vermeidungsmaßnahmen, um Unterwasserlärm bereits an der Quelle zu reduzieren
  • Wir benötigen Verbotszonen für lärmintensive Aktivitäten, inklusive der Ausweisung von Pufferzonen
  • Wir müssen sicherstellen, dass alle Mitgliedsstaaten einen vorbeugenden Ansatz verfolgen, der klare Ziele innerhalb der Rahmenrichtlinie festsetzt.
  • Wir müssen Strategische Umweltprüfungen (SUPs) und Umweltverträglichkeitsprüfungen (UVPs) bei allen Plänen und Projekten anwenden, die mit hoher Wahrscheinlichkeit signifikanten Unterwasserlärm erzeugen.

Der Paradigmenwechsel

Dies führt mich zu meiner Kernfrage, die Sie alle mit nach Hause nehmen sollen: Ist unser aktuelles Paradigma im Umgang mit den vor uns liegenden Herausforderungen angemessen?

Ich möchte einen Ansatz vorstellen, der auf zwei Säulen ruht. Er soll anregen, über einen zukunftsfähigen Weg erfolgreicher Schutzpolitik nachzudenken.
Wir müssen bedenken:
– dass die Rolle, die Meeressäuger in unseren Ökosystemen spielen, womöglich wichtiger ist, als wir jemals dachten, und
– dass die zunehmende wissenschaftliche Erkenntnis in den Bereichen sozialer Komplexität und kultureller Weitergabe von Wissen bei Cetaceen vielleicht entscheidend für die zukünftige Schutzpolitik sind.

Erstens:  Der „ökologische Wal“

Gesunde Ozeane bedeuten einen gesunden Planeten. Und ein gesunder Planet ist gut für Meeressäuger ebenso wie für den Menschen. Meeressäuger spielen eine entscheidende Rolle in unserem kulturellen, wissenschaftlichen und politischen Verständnis der Ozeane und der Bezug, den wir zu diesen weiten Meereswelten und zu uns selbst als Nationen haben, war nie wichtiger als heute.

Ein kürzlich erschienener Artikel in Oceanography von Dr. Phillip Clapham trägt den Titel „Managing Leviathan: Conservation challenges fort he great whales in a post-whaling world.“ In dem Artikel schildert Dr. Clapham die Geschichte des modernen Walfangs und dem damit verbundenen Verlust von drei Millionen Walen alleine im 20. Jahrhundert. Manche Populationen haben aus diesem Grund nur noch 1 % ihrer ursprünglichen Größe. Um einen Vergleich zu geben: eine Reduktion dieser Größenordnung wäre vergleichbar mit einer Reduzierung der US-Bevölkerung auf die Einwohner der Stadt Los Angeles. Clapham führt zurecht die wissenschaftliche Arbeit von Joe Roman, James McCarthy, Trish Lavery, Lavenia Ratnarajah, Andrew Pershing und ihren Kollegen an, die alle die ökologische Rolle der Wale im marinen Ökosystemen und damit für unseren Planeten hervorheben. Die Daten zeigen, dass Wale eine wichtige Rolle dabei spielen, Eisen, Stickstoff und andere Nährstoffe verfügbar für Phytoplankton an der Oberfläche zu machen, den Primärproduzenten von einem Großteil des Sauerstoffs, den wir atmen und gleichzeitig die Nahrungsquelle für Zooplankton, das wiederum von Krill und Fisch gefressen wird, die dann die Nahrungsbasis für den kommerziell wertvollen Fisch darstellen. Die Daten zeigen zudem, dass Wale Kohlenstoff binden und so bei der Bekämpfung der Auswirkungen des Klimawandels helfen.

Clapham estätigt damit ab, was für WDC immer schon galt: „Dass die kontinuierliche Regeneration weltweiter Meeressäugerpopulationen ein Schutzziel ist, das nicht nur edel und erforderlich ist, sondern auch sehr in unserem Eigeninteresse ist.“ WDCs Vision von einer Welt, in der alle Wale und Delfine in Sicherheit und Freiheit leben, ist nicht nur eine noble Geste, sondern ein essenzielles Ziel für einen gesunden Planeten, und damit des Überlebens des Menschen.

Fazit: Wir brauchen Meeressäuger.

Wir sollten keine Grenzen stecken, hinter denen wir den Schutz der Tiere nicht mehr für notwendig erachten. Der Schutz ihrer Zukunft schützt unsere eigene Zukunft. Im Tierschutz muss sich ändern, dass wir nicht nur von einem „Management“ der Tiere sprechen, sondern auch aktiv ihre Regeneration verfolgen und langfristig ihr Überleben sichern, nachdem sich die Populationen erholt haben.
Es gibt keine Grenzwerte für tierische Verluste, die als nachhaltig gelten können – ob durch Walfang, Kollisionen mit Schiffen, Beifang oder Lebendfänge – das Herausreißen aus ihrer Rolle als Ökosystemingenieure fällt letztendlich auf uns zurück und muss beendet werden.

Es ist klar, dass die Wiederherstellung von Meeressäugerpopulationen alleine nicht ausreicht, um ein weltweit gesundes Ökosystem und eine gesunde Wirtschaft sicherzustellen, aber wir dürfen nicht aus den Augen verlieren , dass die Tiere in diesen Bereichen eine zentrale Rolle spielen.

Dies bringt mich zur zweiten Säule meines Ansatzes: Die komplexen Sozialstrukturen bei Cetcaeen

Meeressäuger sind nicht nur Schlüsselarten in unserem Streben nach Ökosystemschutz. Sie sind auch die Augen, die auf uns zurückblicken und uns daran erinnern, dass diese Welt nicht nur uns gehört, sondern wir sie mit Milliarden anderer nicht-menschlicher Wesen teilen.

Meine Kollegin Philippa Brakes von der Exeter Universität, hat mit Sasha Dall in einer Studie mit dem Titel „Marine Mammal Behaviour: A Review of Conservation Implications“ im Juni 2016 in Frontiers in Marine Science zahlreiche Argumente dieses neuen Themenfelds in den Fokus gerückt. Die Autoren merken an, dass „Schutzmaßnahmen durch ein unvollständiges Verständnis der Verhaltensökologie einiger betroffener Arten behindert werden“. Weiterhin argumentieren sie, „dass für einige dieser sozial komplexen Arten das Verständnis ihrer Verhaltensökologie, ihrer Kapazität für soziales Lernen und der individuellen Verhaltensausprägungen ein wesentlicher Garant für ihren erfolgreichen Schutz darstellt. In der Tat ist die Betrachtung individuellen und sozialen Verhaltens wichtig, wenn wir versuchen, diskrete Populationen oder soziale Einheiten zu erforschen.

Die Antwort auf die Frage, wie wir eine „kleine Population“ definieren, basiert bisher grundsätzlich auf genetischen oder geographischen Parametern (oder beidem). Nichtsdestotrotz ist die Rolle des Verhaltens von Individuen ebenso relevant, für das Fortbestehen einer Population.

Wir können bisher – im wahrsten Sinne – nur an der Oberfläche diese Themengebiets kratzen. Wir wissen aber genug darüber, wie komplex die Sozialstrukturen bei Cetaceen sind und dass wir für diese und andere sozial organisierten Säugetiere über den Tellerrand der Genetik hinausblicken müssen.

Wir müssen uns Gedanken darüber machen, wie unseren derzeitigen Umgang mit Themen wie Beifanggrenzen oder Schutzstrategien erweitern können.

Wir haben nun auch wissenschaftliche Belege für „konsistente individuelle Unterschiede“ oder auch „Persönlichkeit“ in einer Reihe von Arten. Es ist wichtig zu beachten, wie die Persönlichkeit von Meeressäugern die Reaktion der Population auf menschliche Aktivitäten im Ozean beeinflusst.

Wir müssen verstehen, dass es wissenschaftlich nicht mehr haltbar ist, über die Ökologie einer Art und ihrer wahrscheinlichen Reaktionen auf den globalen Wandel zu sprechen, ohne dabei die individuellen und sozialen Verhaltensweisen, die Kapazität für soziales Lernen, die Sozialstrukturen , und einzigartige nicht-menschliche Kulturen zu berücksichtigen. Diese Faktoren haben im übrigen nicht nur Auswirkungen auf Schutzmaßnahmen, sondern auch auf die Evolution der jeweiligen Art.

Um zu verstehen, wie soziale Einheiten innerhalb der Meeressäugerpopulationen miteinander verknüpft sind und Informationen zwischen diesen Einheiten fließen, bedarf es weiterer Forschung, insbesondere da komplexe Gemeinschaften unterschiedliche verhaltensbiologische Antworten auf anthropogene Einflüsse zeigen können.

Die Rolle der Individuen innerhalb ihrer sozialen Gruppen und sogar die Ontogenese des Alterungsprozesses haben womöglich einen signifikanten Effekt auf die Überlebenschancen und die Schutzmaßnahmen.

Der Grad der Flexibilität innerhalb verhaltensbiologischer Repertoires bietet entsprechende Möglichkeiten zur Anpassung. Da die Erhaltung verhaltensbiologischer Vielfalt für die Anpassung an neue Umwletverhältnisse wichtig ist, sollte ein wesentliches Ziel des Tierschutzes – neben der Erhaltung genetischer Vielfalt – in der Erhaltung diverser Verhaltensweisen liegen. In einigen Populationen beinhaltet dies auch den Schutz diskreter kultureller Einheiten.

Obwohl die Anpassungsfähigkeit als Folge von Verhaltensflexibilität als Puffer gegenüber ökologischen Veränderungen dienen kann, besteht auch die Sorge, dass eben diese Anpassung zunehmende ökologische Probleme kaschieren. Ändert ein Tier beispielsweise sein Beuteschema aufgrund eines ökologischen Druckes, können bei Erschöpfung des Nahrungsangebotes die Konsequenzen der Veränderung umso schneller eintreten.

Die Herausforderung, die vor uns liegt, besteht in der Entwicklung und der effizienten Umsetzung dieses neuen Wissens in Management-Modelle und Schutzmaßnahmen für die Meeressäuger. Im Jahre 2010 kamen hier in dieser Stadt Akademiker, Wissenschaftler, Philosophen, Rechtswissenschaftler und Umweltschützer an der Universität Helsinki zusammen, um gemeinsam dieses neue Verhältnis zu Cetaceaan zu erforschen und erarbeiteten die sogenannte Helsinki-Deklaration. Die Gruppe untersuchte die Verknüpfung von der neu entstehenden Wissenschaft der –Kognitiven Leistungen und sozialer Komplexität von Delfinen und Walen, um der Frage nachzugehen, welche Verantwortung diese wissenschaftlichen Erkenntnisse mit sich bringen.

Das Ergebnis war die Etablierung einer neuen moralische Grenze, welche von uns verlangt, den Wert des Individuums für Populationen, soziale Gemeinschaften und Ökosysteme anzuerkennen. Und uns zu fragen, welche spezifischen Interessen unsere rätselhaften und komplexen marinen Freunde haben.

Seitdem haben wir die Bonner Konvention voranschreiten sehen bei der Erforschung der Wichtigkeit kultureller und sozialer Komplexität bei Meeressäugern, um auf dieser Basis effiziente Schutzpolitik zu entwickeln.
Diese Erkenntnisse machen unsere Herausforderung und auch die Aufgabe von ASCOBANS darin deutlich, dass wir es mit komplexeren Problemen zu tun haben und – noch wichtiger – mit wesentlich komplexeren Gruppen von Tieren, als wir es noch vor 20 Jahren gedacht haben. Es handelt sich um eine Ebene von Komplexität, die von uns einen Quantensprung in der Lösungsfindung verlangt, von der nicht nur die Meeressäuger profitieren werden, sondern die ganze marine Umwelt und damit auch wir selbst.

Bei der Verfolgung eines Ansatzes, der die kumulativen und synergetischen Effekte anthropogener Gefahren berücksichtigt, ist ASCOBANS ortschrittlich mit dabei. Wir wollen Sie an dieser Stelle ermutigen, in den kommenden Monaten und Jahren darauf auzubauen, um schließlich einen wirklich ganzheitlichen Ansatz für effizienten Tiers- und Meeresschutz zu schaffen.

Zusammenfassung

WDC ist seit zwei Jahrzehnten bei ASCOBANS aktiv. Die Europäische Union sieht sich mit politisch heiklen Zeiten konfrontiert, nicht nur im Umgang mit dem Brexit. Als Brite arrangiere ich mich noch mit der Entscheidung einiger meiner Landsleute, aber als Europäer und als Geschäftsführer einer internationalen NGO, teile ich Ihre Besorgnis über die Konsequenzen für den grenzüberschreitenden Tierschutz.

Dies ist jedoch auch ein Grund, warum ASCOBANS und ähnliche Vereinbarungen umso wichtiger sind. Trotz all unserer Arbeit in den letzten Jahren beginnen wir erst jetzt die besonderen und faszinierenden Eigenschaften dieser wunderbaren Tiere zu verstehen. Insbesondere während des letzten Jahrhunderts waren Meeressäuger ein Symbol für unseren Egoismus bei der Ausbeutung unseres Planeten. Sie können und sollten aber auch ein Symbol dafür sein, wie wir unsere Zukunft gestalten und unsere Verpflichtungen als Hüter dieses Planeten erfüllen werden.

Noch einmal: Mit dem Schutz von Meeressäugern schützen wir auch uns!