Tagebuch aus Taiji: Die Ungezählten
WDC Gast-Blogger Hans-Peter Roth ist ein Schweizer Journalist, der sich seit vielen Jahren intensiv für Delfine und Wale einsetzt. Momentan ist Hans-Peter vor Ort in Taiji, Schauplatz der berüchtigten Delfintreibjagden, um von der Situation vor Ort zu berichten. Begleitet wird Hans-Peter von Marna Olsen, einer färöischen Delfin- und Tierschützerin, die sich für ein Ende der Delfintreibjagden sowohl in Japan, als auch ihrer Heimat, den Färöer Inseln, engagiert.
Schon von weitem zeigen kreisende Krähen es an: Den Kadaver eines Rundkopfdelfins, der an der Felsenküste zwischen dem Leuchtturm von Taiji und unserem Beobachtungspunkt liegt, von wo aus wir normalerweise die Delfinjagden beobachten, unweit der Schule. Er wurde am Montag, 19. Oktober angeschwemmt und ist bereits am Verwesen und von verschiedenen Tieren angefressen. Der Anblick ist schockierend, und der Tod des Tieres ist zweifellos eine Folge der Treibjagd, die an jenem Montag stattfand, als rund ein Dutzend Rundkopfdelfine in der berüchtigten Bucht von Taiji getötet wurden.
Wir können nur mutmassen über die Todesursache des armen Tieres. Der berühmte Delfinschützer Richard O’Barry, der auch mit WDC zusammenarbeitet, hat immer wieder betont, dass Delfine nicht nur in der Bucht von Taiji sterben, wenn sie ihres Fleisches wegen abgeschlachtet werden, sondern auch auf offener See während der Treibjagden. Die Meeressäuger sterben an Stress, Erschöpfung oder durch Verletzungen, wenn Boote die Tiere überfahren und diese mit der Schraube oder anderen Schiffsteilen treffen. Diese Delfine sinken nicht immer auf den Grund, sondern treiben manchmal wegen Gasen im Körper an der Oberfläche bis ans Ufer. Dieser tote Delfin ist genau dafür ein starkes Indiz.
Die Delfinjagd, die wir an jenem Montag beobachteten, war besonders grausam. Die Treibjagd dauerte geschlagene fünf Stunden, bis die Delfine schliesslich in der Bucht gefangen waren. Es war herzzerreissend, mit ansehen zu müssen, wie dieser Familienverband mit einigen Kälbern und ihren verzweifelten, völlig erschöpften Müttern, die sie bis zum Ende zu beschützen versuchten, ein Tier um das andere versteckt unter einer grossen Blache in der Tötungsbucht hingemacht wurde. Der Kadaver des Delfins im Bild ist ein weiteres Opfer dieser Treibjagd. Aber er wird nie in einer Statistik auftauchen…
Trotz seines Verwesungsstadiums sind am Körper diverse Kratzspuren auszumachen. Zwar stammen einige vom Anschwemmen auf den scharfen Steinen. Andere zeigen aber Verletzungen auf der Haut und um die Schnauze an, wie sie von Delfinen im Todeskampf stammen, wenn sie sich in Netzen verfangen und ertrinken. Delfine ertrinken nicht selten in der Bucht. Für die Fleischgewinnung sind sie dann wertlos; die Delfinjäger laden sie üblicherweise versteckt unter einer Plane auf ein Boot und werfen sie auf dem offenen Meer ins Wasser, wie sich immer wieder beobachten lässt.
Dies scheint auch naheliegend im Fall dieses unglücklichen jungen Rundkopfdelfins. Vor zehn Tagen schwamm er noch frei und arglos mit seinem Familienverband. Jetzt ist er degradiert zu einem verwesenden Kadaver und seine gesamte Familie ist ausgelöscht.
Hans Peter Roth und Marna Frida Olsen