Eine 700.000 Jahre alte Kultur
Wale und Delfine sind uns näher, als wir denken: Sie haben eine Vorstellung von sich selbst und fühlen wie wir, sie zeigen Mitgefühl und planen strategisch, sie denken und kommunizieren miteinander und sie haben eigene Kulturen. Kulturen die wesentlich älter sind als wir uns vorstellen können. Denn was sind die 4.700 Jahre alten Pyramiden von Gizeh gegenüber der 700.000 Jahre alten Kultur der Orcas vor der Westküste Kanadas?
Vor der Westküste Kanadas leben unterschiedliche Orca-Populationen. Die sogenannten „Residents“, „Transients“ und die „Offshore“ Orcas. Alle drei Gruppen nutzen zumindest zeitweise den gleichen Lebensraum und es ist so etwas wie ein Mysterium, dass sie sich nicht miteinander paaren. Genau genommen wäre ihre Paarung aus genetischer Sicht sogar ausgesprochen sinnvoll, da Inzucht vermieden und der Genpool vergrößert würde. Genetische Untersuchungen haben aber gezeigt, dass sich die Transients vermutlich vor 700.000 Jahren von den Residents und den Offshore-Orcas getrennt haben, wohingegen Residents und Offshore-Orcas erst seit 150.000 Jahren getrennte Populationen bilden. Offshore und Residents scheinen sich auch heute noch ab und an zu paaren, und das, obwohl sie sich seltener begegnen als Transients und Residents. Interessanterweise teilen Residents und Offshore-Orcas auch andere Gewohnheiten: Sie fressen keine Säugetiere, sondern nur Fisch, und beide Gruppen sind bei der Jagd recht „gesprächig“, also akustisch aktiv. Transients hingegen sind bei der Jagd fast stumm, denn sie wollen von ihrer Beute nicht gehört werden.
Die Trennung zwischen den Populationen lässt sich, wie wissenschaftliche Studien belegen, nur kulturell erklären. Das Bedeutet: Orcas besitzen eine Kultur und diese Kultur geht sogar so weit, dass der kulturelle Unterschied Einfluss auf die genetische Evolution hat. Bisher ging man davon aus, dass nur bei uns Menschen der kulturelle Einfluss ausreichend stark ausgeprägt ist, um die Evolution zu beeinflussen. Doch eine aktuelle Untersuchung zu den Orca-Populationen in Kanada legt nahe, dass das nicht auf die menschliche Kultur beschränkt ist.
Transients und Residents gehen seit hunderten von Generationen getrennte Wege, obwohl sich ihr Lebensraum überschneidet. Die folgenden beiden Beispiele verdeutlichen, wie tief das kulturelle Erbe verwurzelt ist.
Eine Gruppe von drei Transients, die 1970 für ein Delfinarium in British Columbia gefangen wurden, weigerte sich 75 Tage lang, Fisch zu fressen, bis eines der Tiere verhungerte. Die verbliebenen entschieden sich daraufhin, die angebotene Nahrung zu akzeptieren. Die beiden überlebenden Orcas wurden später wieder in die Wildnis entlassen und ernährten sich dort wieder ausschließlich von ihrer traditionellen Nahrung: Säugetieren.
Nach der Havarie des Öltanker „Exxon Valdez“ in Alaska 1989 kam es zu einer der größten durch Menschen verursachten Umweltkatastrophen. Unter anderem starben neun Orcas des im Prince William Sound lebenden Orcapods AT1. Der Verlust dieser neun Tiere machte 41 Prozent der lokalen Population aus. Heute, mehr als zwanzig Jahre später, gibt es nur noch zwei geschlechtsreife Weibchen dort. Leider konnte nicht beobachtet werden, dass sich die Tiere mit anderen Orcas paaren, und die Wissenschaftler gehen davon aus, dass diese lokale Population aufgrund der Exxon-Valdez-Katastrophe aussterben wird.
Beide Beispiele zeigen wir stark die Macht der kulturellen Tradition in diesen Populationen ist und verdeutlichen nochmals welche katastrophalen Folgen die Gefangennahme von Orcas und die Haltung in Gefangenschaft – in Willkürlich zusammengewürfelten Gruppen – hat.
Die Dokumentation BLACKFISH hat weltweit Menschen dazu bewegt, die Haltung von Orcas in Delfinarien zu hinterfragen. Der Film über Orca Tilikum zeigt eindringlich, wie sehr diese sozialen Tiere in Gefangenschaft leiden und kommt zum Schluss: Es ist absurd, hochriskant und inhuman, Orcas zu unserem Vergnügen in kleinen Betonbecken zu halten.
Mehr Informationen zum Thema Orcas in Gefangenschaft und was Sie tun können um unsere Arbeit zu Unterstützen finden Sie auf unserer Seite www.schwertwal.de
Quelle: Aus dem Bonusmaterial (S. 16) zu Dr. Karsten Brensing: Persönlichkeitsrechte für Tiere